Donnerstag, 10. April 2014

Kamerun - Afrique en miniature (2) Kulturschock

Im März hatte Christoph die Gelegenheit für ein paar Tage nach Kamerun zu fliegen und bei einem Krankenhaus Projekt mitzuhelfen. In einer mehrteiligen Interviewserie steht er mir Rede und Antwort. Er spricht über das Projekt, Land und Leute, über Entwicklungschancen und Korruption. Den Link zum ersten Teil findet ihr hier.

Schwester Brigitte

Myriam: Du hast bereits erwähnt, dass euch Schwester Brigitte begleitet hat. Bitte erzähle ein wenig von ihr!

Christoph: Schwester Brigitte kann mit ihren 66 Jahren auf 36 Jahre im afrikanischen Busch zurückblicken. Als junge Nonne ist sie nach Kamerun gekommen, nachdem sie ein halbes Jahr Französisch in Paris gelernt hat. Ihr altes Wörterbuch hat sie noch immer. Sie ist die einzige Krankenschwester, die mit dem Jeep überall in den Busch zu den entlegenen Krankenstationen fährt und diese mit den nötigsten Medikamenten versorgt. Aber nicht alles dort ist mit dem Fahrzeug zu erreichen, sie geht auch viel zu Fuß, manchmal tagelang,  in den Busch und schläft dann in den verschiedenen Dörfern. Über ihre Erlebnisse und Erfahrungen möchte sie ein Buch schreiben.


Myriam: Ich habe wirklich großen Respekt vor ihrer Leistung. Während deines Aufenthaltes hast du auch viele der Krankenstationen besucht. Sind sie ansatzweise mit deutschen medizinischen Einrichtungen zu vergleichen?

Christoph: Eher nicht. Die Einrichtung der Krankenstationen ist nach europäischen Standards der 40er bis 60er Jahre. Soweit es möglich ist, ist alles sauber und aufgeräumt. Aber insgesamt sieht man der Ausstattung schon die Jahre, die sie auf dem Buckel hat, an. Mangels richtiger Fenster und Türen ist die Privatspäre der Patienten auch eingeschränkt. Die Technik ist ebenfalls alt und nicht vollständig nutzbar. Oder es fehlt einfach das Wissen dafür.
Ein Beispiel hierfür: In einer der Kinderkrankenstationen stand ein alter Inkubator. Er ist noch funktionstüchtig, sogleich er aufgrund seines Alters nicht mehr auf dem Stand der heutigen Technik ist. Er kann aber nicht benutzt werden, weil keiner weiß wie er funktioniert. Auch meine Frage, ob dann mal jemand versucht hätte, eine Bedienungsanleitung zu bekommen, wurde verneint.  So ist das vielerorts in Afrika.

Funktionierender Inkubator ohne Anleitung
Da bekanntlich Fotos mehr als Tausend Worte sagen, hier ein paar Eindrücke aus den Krankenstationen:
 
Pausenraum der Krankenschwestern


Operationssaal
Medikamentenlager
Zimmer in der Entbindungsstation

Wartezimmer einer Krankenstation

Myriam: Du hattest neben deiner Arbeit in den Krankenstationen auch ein bisschen Zeit dir das Land anzuschauen und mit den Menschen zu sprechen. Welche Eindrücke und Erlebnisse hast du mitgenommen?

Christoph: Das Land hat Potential. Aber dieses Potential ist gleichzeitig das Problem: 

Die Bevölkerung:

Sie sind sehr viele, die zudem unzureichend ausgebildet sind. Sie wissen wie sie sich durchschlagen können, aber die meisten leben von der Substanz. Schulbildung, Gesundheitsversorgung, einfach alles muss in Kamerun von den Leuten selbst bezahlt werden. Es gibt keine staatlichen Sozialleistungen. Familien im Busch haben circa 10 Kinder pro Frau, von denen sie selten alle zur Schule schicken können. In den großen Städten ist die Kinderanzahl etwas niedriger, sie haben schon teilweise eingesehen, dass Kinderreichtum bei der momentanen Gesellschaftsentwicklung nicht viele Vorteile bringt. Der landesweite Durchschnitt beträgt 5 Kinder pro Frau. Haben sie die Schule besucht, bekommen Frauen etwa ab 20 die ersten Kinder. Ohne Schulbildung bereits ab 16. 


Schule in Kamerun

Die Schulbildung und berufliche Aussichten:

An staatlichen Schulen fällt wochenlang der Unterricht aus, weil ein Lehrer gerade nicht kommt. Die religiösen Schulen sind straffer geführt und bieten bessere Bildung an. Kommen die Jugendlichen aus der Schule stehen sie meistens nur vor der Option, das landwirtschaftliche Leben der Eltern zu übernehmen oder einen kleinen Tisch-Stand am Straßenrand zu eröffnen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch und viele verdienen sich als Tagelöhner ein Zubrot. Ein einfacher Angestellter bekommt im Monat ungefähr 70.000 CFR (ca. 106€). 

Örtlicher Supermarkt

Das friedliche Zusammenleben der Religionen:

Zumindest die Religionen leben harmonisch zusammen. Ich konnte von meinem Zimmer beim Bischofssitz den Muezzin rufen hören. Es gibt in Sichtweite der Kirche eine ansehnliche Moschee. Schwester Brigitte berichtete, dass sie beispielsweise von Muslimen zum Ramadan zum Essen eingeladen wird oder ein Stück Fleisch geschickt bekommt. Das Wachpersonal der Kirche ist muslimisch, weil ihnen eine höhere Aufmerksamkeit nachgesagt wird. Anders als in beispielsweise Nigeria, gibt es in Kamerun zwischen den Religionen keine gewaltbeflekte Vergangenheit, die Spannungen hervorrufen könnte. Übergriffe in Grenzregionen werden von Bürgern der Nachbarstaaten verübt.

Kathedrale in Bafia

Myriam: Afrika ist in vielerlei Hinsicht anders als Europa. Darüber wirst du auch noch im 3. Teil dieser Serie ausführlicher berichten. Besonders bewegt hat mich die Geschichte mit den Handyattrappen. Bitte erzähle sie uns!

Christoph: Es wurde mir nur berichtet, ich habe es nicht selbst erlebt. Als es in Europa und den anderen Industrienationen mit dem Handyboom losging, wollten die Kameruner natürlich auch mit so einem Ding am Ohr, das sie bei den Geschäftsleuten sahen, durch die Straßen laufen. Und da überlegten sich unehrliche Zeitgenossen, dass sie Unmengen von Handyattrappen nach Afrika verschiffen könnten. Verkäufer dieser fake-Handys setzen sich dann mit einem großen Karton an die Zufahrtsstraße zu den Dörfern und verkauften die Dinger an die Bevölkerung. Als vor Ort der Einwand kam, man könne damit gar nicht telefonieren, wurde den Leuten einfach erzählt, sie sollen nach Hause gehen, dort würde es schon funktionieren. Das tat es natürlich nicht. Am nächsten Tag war keine Spur mehr vom Verkäufer zu sehen. Vermutlich ist er zum nächsten Dorf weitergezogen.

Allgegenwärtig: Müllberge in Kamerun
Im Autoland Deutschland undenkbar?

Im dritten Teil dieser Serie erzählt uns Christoph noch mehr zu den Unterschieden zwischen Kamerun und Deutschland. Wir sprechen über die Tücken der Entwicklungshilfe und die Auswirkungen der Korruption auf die Bevölkerung und zeigen euch Wege auf, wie ihr nachhaltig helfen könnt.

Fotos: C. Jobst

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für diesen Bericht. Er hat mir Kamerun ein bißchen näher gebracht. Und auch noch mal vielen Dank für deine Nominierung. Heute habe ich es endlich geschafft deine Fragen zu beantworten.
    Einen lieben Gruß

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