Sonntag, 21. Mai 2023

[Leipzig] Pfingsten auf dem Südfriedhof - zwischen WGT und Verlagsgeschichte

Der zweite Buchmessetag 2019 steckte mir schwer in den Knochen als ich in der Dunkelheit auf dem Leipziger Südfriedhof auf meine Kollegin wartete. Ich beobachtete wie ein Taxi eilig auf den Parkplatz einbog, ein ganz in schwarz gekleideter Mann ausstieg und sogleich im Schwarz der Nacht verschwand. Plötzlich lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Was machte ich bloß nachts allein auf dem Friedhof? Wenige Sekunden später schüttelte ich meine Angst ab und entschied mich einen rationalen Grund zu finden. Ganz sicherlich handelte es dabei ebenfalls um einen Gast für die Lesung oder gar um einen der Autoren. Noch in Gedanken sehe ich die Umrisse einer Gestalt die auf mich zukommt. Meine Kollegin. Na Gottseidank. Als wir die Hauptkapelle betreten, ist sie fast bis auf den letzten Platz besetzt. Zum Glück hat unsere Freundin und Autorin Tanja uns Plätze in der ersten Reihe reservieren lassen. Mein Herz als Hobbyfotografin schlägt höher.

Der Leipziger Südfriedhof gehört zu den schönsten, größten und kunstgeschichtlich bedeutsamen Parkfriedhöfen in Europa. Auf dem Gelände befinden sich ca. 500 Kunstwerke und ein imposanter Trauerhallenkomplex, der einer Klosteranlage nachempfunden wurde. 


Krematorium und Trauerhalle Leipziger Südfriedhof
Leipziger Südfriedhof - Hauptkapelle


Gruselig wird es regelmäßig auf dem Leipziger Südfriedhof auch während der Pfingstfeiertage und dem dort alljährlich stattfindenden Wave-Gotik-Treffen (WGT) und Gothic-Festival. Dann hüllt sich die Messestadt in ein buntes Schwarz und es bedarf keiner illustren Buchlesung, um die Besucherinnen und Besucher in Scharen auf den Südfriedhof zu locken. Neben dem prachtvoll kostümierten Flanieren zwischen den ungefähr 9000 blühenden Rhododendronbüschen und den historischen Grabsteinen ist der Leichenwagentreff sehr beliebt.

Das WGT findet seit 1992 jährlich zu Pfingsten in Leipzig statt und gilt als das größte Gothic-Festival der Welt. Es lockt mittlerweile über 20.000 Gäste aus aller Welt an. In diesem Jahr feiert die Schwarze Szene ihr 30. Jubiläum. In 2020 fiel das Festival aufgrund der Corona-Beschränkungen aus. Neben dem Festivalgelände auf dem agra-Park finden Veranstaltungen, Umzüge und Konzerte an verschiedenen Orten im gesamten Stadtgebiet statt. Bspw. im Torhaus Dölitz (Heidnisches Dorf), Kirchenruine Wachau, Moritzbastei, Stadtbad oder im Ägyptischen Museum. Eine Übersicht findet ihr hier und einen WGT Guide hier.

Rhododendronbüsche Leipziger Südfriedhof Blütezeit Mai bis Juni
Der Rhododendron steht im Juni in voller Blüte.


Leipziger Südfriedhof


Die erste Beisetzung fand 1886 auf dem damals erst 13 Hektar großen Friedhof statt. Das Grab von Carl August Schmidt ist noch heute in der Abteilung I zu besichtigen. Die heutige Gesamtfläche ist auf 78 Hektar angewachsen und ermöglicht dadurch eine freizügige Gestaltung der Flächen bspw. ökologische Zufluchtsorte für verschiedene Tier- und Pflanzenarten. Die Wegeführung auf der Anlage ist einem Lindenblatt nachempfunden und die einzelnen Abteilungen sind durch Ziffern gekennzeichnet. Das macht das Auffinden der zahlreich vorhandenen Grabstätten bekannter Persönlichkeiten einfacher. So fanden hier ihre letzte Ruhe die Dichterin Lene Voigt, Max Klinger, Carl Seffner und etliche Leipziger Verlagspersönlichkeiten auf die ich weiter unten im Text noch eingehen werde.

Im Zentrum des Leipziger Südfriedhofs steht das markante Krematorium mit zwei kleinen Kapellen und einer großen Trauerhalle. Die Anlage wurde zwischen 1907-1909 von Otto Wilhelm Scharenberg im Stil des Benediktinerkloster Maria Laach erbaut. Der 63 Meter hohe Glockenturm ist ein nützlicher Orientierungspunkt, da er bereits vom Weitem zu erkennen ist.

Die Rückseite der Trauerhallenanlage mit Teich


Auf dem Südfriedhof befinden sich zahlreiche wertvolle und teilweise unter Denkmalschutz stehende Grabmäler. Leider sind nicht wenige davon beschädigt und bedürfen einer Restauration. Daher gibt es auf den sieben Städtischen Friedhöfen die Möglichkeit eine sogenannte Grabmalpatenschaft für eines dieser historischen Kulturgüter zu übernehmen. Der Pate oder die Patin verpflichtet sich vertraglich die Kosten für die Sanierung zu tragen und erwirbt damit das Nutzungsrecht an der Familiengrabstätte. Für über 500 solcher Gräber kann auf allen Friedhöfen in Leipzig eine Patenschaft übernommen werden. Die zur Verfügung stehenden Gräber sind entsprechend gekennzeichnet.

sanierungsbedürftiges Grabmal

Hinweis auf eine Grabmalpatenschaft


Regelmäßig werden sonntags geführte Touren auf dem Leipziger Südfriedhof angeboten. Informationen findet ihr hier. Über Pfingsten 2023 (Freitag-Montag) findet täglich eine Führung um 14 Uhr statt.


Mein erster Spaziergang über den Leipziger Südfriedhof


Tatsächlich war ich zum ersten Mal zu jener Lesung im März 2019 auf dem Leipziger Südfriedhof. Und dass obwohl ich von 2009-2012 regelmäßig mit der Straßenbahnlinie 2 oder 15 am Südfriedhof vorbeifuhr, um zur Berufsschule zu gelangen. Und erneut mit der Buslinie 76 als ich zu meiner damaligen Arbeitsstätte dem familia Verlag gefahren bin. Nun habe ich keine Abneigung oder gar Furcht vor Friedhöfen - vielmehr bot es sich nie richtig an.

Über den Leipziger Südfriedhof zu spazieren, bewegt mich auch nicht stärker über meine eigene Vergänglichkeit als sonst nachzudenken. Aber ... aber es bringt mich dazu über eine andere Sache nachzudenken. Wie sich das Berufsleben im Laufe der Jahrzehnte gewandelt hat. Früher lernte man in der Regel nach der Schule einen Beruf und übte diesen bis zur Rente aus. Man war Offizier, Arzt, Müller, Schreiner, Kaufmann, oder für Leipzig typisch Buchhändler und Verleger. 

Heutzutage würde auf jedem vierten Grabstein Manager oder Specialist - oder eine andere fancy klingende, englische Berufsbezeichnung für eine Reihe - man sieht es mir hoffentlich nach - Bullshitjobs stehen. Selbst ich mit erst Mitte 30 habe schon mehrere Berufe erlernt und ausgeübt. Da wären Fachfrau für Versicherungen und Finanzen, Marketing & Sales Manager und aktuell Key Account Manager. Aber dafür gibt es heutzutage Portale wie LinkedIn.

Aber zurück zum eigentlichen Thema:

Als Fritz Baedeker im Mai 1872 nach Leipzig übersiedelte, war die Stadt die führende Verlags - und Buchhandelsstadt in Deutschland. Verlage, wie Reclam und Brockhaus waren hier ansässig. Der Baedeker Verlag, der aus einer Koblenzer Buchhandlung entstand, war bald für seine selbst verlegten und gut recherchierten Reiseführer bekannt. Vom damaligen Unternehmenserfolg zeugt noch bis heute die Neobarock-Villa in der Käthe-Kollwitz-Straße (heute Acqua Klinik). 

Bei einem Spaziergang über den Leipziger Südfriedhof kann man nahe dem Krematorium das Familiengrab in der Abteilung VI entdecken. Dort fanden sowohl Fritz Baedeker (1844-1925) mit der Berufsbezeichnung Buchhändler als auch sein Sohn Ernst Baedeker (1878-1948) mit der Berufsbezeichnung Verlagsbuchhändler die letzte Ruhe.


Südfriedhof Grabsteine Baedeker
Familiengrab der Buchhändler und Verleger Familie Baedeker


Eine besonders geschmackvolle Grabstätte - ebenfalls mit der äußerst ehrenhaften Berufsbezeichnung Verleger - ist weitaus jüngeren Datums und die letzte Ruhestätte vom Leipziger Verleger Elmar Faber, der 2017 verstarb und zuvor 1990 mit seinem Sohn Michael den Verlag Faber & Faber gegründet hatte. Mit seinem Umzug nach Leipzig setzte er ein Zeichen gegen die "Ausblutung" des einst so wichtigen Verlagsstandortes Leipzig.


Grabstätte des Verlegers Elmar Faber



Fotos vom Leipziger Südfriedhof












Serviceteil: 


Anreise:
Der Leipziger Südfriedhof ist mit den Straßenbahnlinien 2,4 und 15 sowie den Buslinien 76, 79 und 690 zu erreichen. Die Haltestelle heißt Südfriedhof und liegt unmittelbar am Osttor.
Bei der Anreise mit dem PKW ist zu beachten, dass man von stadteinwärts kommend direkt hinter der Ampel rechts abbiegen muss - ansonsten muss man aufgrund der Staßenbahnschienen in der Mitte der Prager Straße einen großen Bogen fahren. Auf dem Südfriedhof stehen ausreichend kostenlose Parkplätze zur Verfügung.
Ein ausgedehnter Spaziergang oder eine Fahrradtour ab der Leipziger Innenstadt sind ebenfalls problemlos möglich.

Öffnungszeiten:
April bis Oktober von 7-21 Uhr (täglich)
November bis März von 8-18 Uhr (täglich)

Toiletten:
Es befindet sich eine Toilette am Osttor. Sanitäre Anlagen befinden sich auch im Krematorium. Dieses ist allerdings außerhalb von Trauerfeiern und sonstigen Veranstaltungen geschlossen.

Nützliche Links:


Habt ihr in eurer Nähe auch einen so schönen Friedhof auf dem ihr schon spazieren gewesen seid? 


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