Manch einer von euch freut sich seinen wohlverdienten Feierabend auf dem Sofa vor dem Fernseher verbringen zu können. So bin ich nicht. Ich gehe nach Feierabend gern ins Museum, zu Vorträgen oder anderen Veranstaltungen. Einer meiner absoluten Lieblingsmuseen in Leipzig ist das "Zeitgeschichtliche Forum". Die Dauerausstellung widmet sich der Aufarbeitung der deutschen Geschichte nach 1945. Immer wieder werden Wechselausstellungen angeboten, die bestimmte Schwerpunkte aufgreifen und diese genauer unter die Lupe nehmen. Mit der aktuellen Ausstellung "Unter Druck - Medien und Politik" hätte das Museum nicht besser den Zeitgeist der aktuellen Stunde aufgreifen können. Ein Grund mehr einen verregneten Nachmittag im Museum zu verbringen. Also kommt mit und lasst euch von mir in den Bann der Geschichte ziehen.
Die Anfänge nach dem Krieg: Lizenzzeitungen
Das Museum ist chronologisch aufgebaut und beginnt daher mit dem Ende des 2. Weltkrieges. So ist im Museum zu lesen, dass die Alliierten am 24. November 1944 alle deutschen Medien, als wichtigen Schritt für einen Neubeginn, verboten hatten. In einer Übergangszeit gaben sie selbst Zeitungen heraus, bis 7 Lizenzurkunden für deutsche Zeitungsgründungen vergeben wurden. Dazu gehörten die Frankfurter Rundschau, Aachener Nachrichten, Der Tagesspiegel, Axel-Springer-Verlag, Die Wirtschaftszeitung und Der Spiegel. Das war die Geburtsstunde des deutschen Journalismus nach 1945.
Stichworttipps: Pressegeschichte in der Besatzungszeit, Lizenzzeitung
Im Museum - Aufarbeitung der Spiegel-Affäre: Hinter dieser Tür saß Rudolf Augstein im Untersuchungsgefängnis ein |
Aufarbeitung der Spiegel-Affäre
Die Pressefreiheit musste in der jungen Bundesrepublik schon einige Bewährungsproben meistern. Eine wichtige Zäsur stellt die "Spiegel-Affäre" von 1962 dar. Unter dem Titel "Bedingt abwehrbereit" erschien im Spiegel ein Bericht, der sich auf geheime Unterlagen stützt, dass die deutsche Bundeswehr im Falle eines Angriffs nicht abwehrbereit sei. Es wurde wegen Ladesverrats ermittelt. Mitarbeiter des Spiegels, darunter auch Chefredakteur Rudolf Augstein, wurden in Untersuchungshaft genommen und die Räume der Zeitung durchsucht. In der Bevölkerung regten sich Proteste - besonders von Studenten und Pressevertretern. Nach und nach wurden die Journalisten aus der Haft entlassen. Die gerichtliche Auseinandersetzung dauerte bis 1965 und endete mit einem Freispruch. Es lag kein Landesverrat vor.
Dies ist nur eine verkürzte Darstellung der Ereignisse. Fest steht aber, dass die Spiegelaffäre als Stärkung der Pressefreiheit in Deutschland angesehen wird. 1966 beginnen die Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Spiegel-Verlag hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt. Aufgrund eines Stimmenpatts der 8 Richter bleibt die Beschwerde ohne Erfolg. Die Urteilsbegründung hat dennoch einen wegweisenden Charakter: Das höchste deutsche Gericht stellt fest, dass die Presse eine öffentliche Aufgabe erfülle und daher unter besonderem Schutz stehen müsse.
"Was Wahrheit ist, bestimmt Herr Lehr(er)."
Ein Gesetzesvorschlag der Regierung aus dem Jahr 1952 fordert eine stärkere Kontrolle der Medien. Ihr Vorhaben scheitert jedoch an der öffentlichen Kritik. Als Reaktion auf diese Debatte gründen Journalisten und Verleger 1956 den "Deutschen Presserat". An die Stelle der geforderten staatlichen Aufsicht tritt die freiwillige Selbstkontrolle. Die unten abgebildete Karikatur greift die Kritik an dem radikalen Vorschlag des Bundespressegesetzes auf. Lehr(er) - weil der damalige Innenminister Robert Lehr hieß.
Der neue Presse-Gesetz-Entwurf |
Nach den ersten 2 Räumen im Museum steht für mich fest: Die Freiheit der Presse ist nicht selbstverständlich. Sie wird bedroht und fordert Journalisten ein hohes Maß an Wachsamkeit ab.
Meinungsmacher
In der Bundesrepublik prägten seit jeher einflussreiche Journalisten und Verleger, wie Rudolf, Augstein, Marion Gräfin Dönhoff, Henri Nannen und Axel Springer, die öffentliche Debatte mit ihren Publikationen. Bereits 1967 hat der Axel-Springer-Verlag einen Marktanteil von 31,2 %.
Protestmarsch
"Am 6. November 1979 demonstrieren der Intendant und viele Mitarbeiter des NDR für den Fortbestand ihres Senders. Im folgenden Jahr einigen sich die Regierungschefs von Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen: Der NDR bleibt als Dreiländeranstalt erhalten." Michael Meyborg.
Das Spannungsverhältnis zwischen Medien und Politik zeigt sich ebenfalls in dem Umgang mit dem Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen. Bundeskanzler Adenauer war die "linkslastige ARD" ein Dorn im Auge und so plante die Bundesregierung 1960 ein "Freies Fernsehen". Obwohl schon geplant, ging es nie auf Sendung, da es an der Ablehnung der Länder scheiterte. Stattdessen entstand das ZDF und übernahm die provisorischen Studios in Eschborn, die vom "Freien Fernsehen" übrig geblieben waren.
In den Anfangsjahren belief sich der Grundbetrag der Rundfunkgebühr auf 2 Mark. |
Tabubruch
374 bekannte und unbekannte Frauen brachen am 6. Juni 1971 mit einem Tabu. Unter dem Titel "Wir haben abgetrieben!" bekannten sie sich öffentlich dazu abgetrieben zu haben. Das war damals noch eine Straftat. Der Aufruf für diese gewagte Kampagne kam von Alice Schwarzer, der Frontfrau des deutschen Feminismus. Sie wollte damit die Abschaffung des Abtreibungsverbotes erreichen und löst mit dieser Aktion eine lange Debatte aus.
Das Museum befasst sich noch mit zahlreichen weiteren interessanten Themen wie, dem Waldsterben, der Presse in der DDR, die Recherchen von Günter Wallraff, der Wulff-Affäre und zeigt u.a. auch das von der NSA ausspionierte Handy der Kanzlerin. Ein Museumsbesuch lohnt in jedem Fall und zwar nicht nur, weil man die Original Sprachnachricht von Altbundespräsident Wulff an den Bild-Chef hören kann.
Warnung! Geschichte kann zu Einsichten führen und verursacht Bewusstsein.
Der Besuch eines Museums sollte nicht nur dazu dienen durch die Räumlichkeiten zu gehen und in der Vergangenheit zu weilen, sondern muss vielmehr im Kontext mit der Gegenwart gesehen werden. Wie kann uns ein Besuch in der Geschichte der Bundesrepublik helfen die Ereignisse der Gegenwart besser zu verstehen und einzuordnen, um sich ein besseres Bild darüber machen zu können, welche Zukunft wir haben möchten. Was wird wohl in 25 Jahren über unsere Gegenwart im Museum ausgestellt werden?
Unter dem Titel "Museum nach Feierabend" bietet das Museum eine öffentliche Begleitung durch die Ausstellung an. Jeweils im ersten Dienstag im Monat (3.3., 7.4., 5.5., 2.6., 7.7., 4.8.) immer um 18 Uhr. Treffpunkt ist der Vorraum in der 2. Etage. Der Eintritt ins Museum und die Führungen sind kostenlos.
Bei der Führung am 3. Februar waren ungefähr 10 Gäste anwesend. Es war ein bunter Mix zwischen alt und jung. Bei den älteren Herrschaften fiel mir auf, dass für die, die in der DDR aufgewachsen sind, Themen wie die Spiegel-Affäre völlig unbekannt waren. In der Fragerunde nach der Ausstellung wurde die Mitarbeiterin des Museums gefragt, wie sie die jetzige Arbeit der Presse werte und wie die Rufe "Lügenpresse" einzuschätzen seien. Die Frage blieb mit den Worten "Eigene Schlüsse müsse jeder für selbst ziehen." unbeantwortet.
Bis heute ist die Rolle der Medien beim Rücktritt des Bundespräsidenten Wulffs umstritten. Presseskandale und Medienkampagnen rücken Fragen, wie "Wer kontrolliert die Meinungsmacht?" und "Unabhängiger Journalismus kostet Geld! - Aber wer zahlt?" immer stärker in den Fokus der öffentlichen Diskussion, angeheizt vom Aufschwung der sozialen Netzwerke in Internet.
Bis heute ist die Rolle der Medien beim Rücktritt des Bundespräsidenten Wulffs umstritten. Presseskandale und Medienkampagnen rücken Fragen, wie "Wer kontrolliert die Meinungsmacht?" und "Unabhängiger Journalismus kostet Geld! - Aber wer zahlt?" immer stärker in den Fokus der öffentlichen Diskussion, angeheizt vom Aufschwung der sozialen Netzwerke in Internet.
Das Thema bleibt für mich hoch interessant und daher habe ich mir im Museumsshop die unzensierte Originalausgabe "Der Aufmacher - Der Mann der bei BILD Hans Esser war" aus dem Jahr 1977 von Günter Wallraff gekauft. Eine Buchvorstellung wird folgen.
Wer jetzt Lust bekommen hat, selbst in die Ausstellung zu gehen, hat dazu noch bis zum 9. August die Gelegenheit. Link
Alle Fotos sind während des Museumsbesuchs entstanden.
Ich gehe auch sehr gern in Museum! Das letzte Mal war ich im Harz in einem Bergwerksmuseum, das war total interessant! Ich schaue mir auch gern solche Ausstellungen an, die du besucht hast! Ich musste schmunzeln, dass der Rundfunkbeitrag damals nur 2 Mark gekostet hat :) Schöne Bilder hast du da gemacht!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Jana
Danke :) Das Bergwerkmuseum klingt auch spannend. Das würde ich mir auch ansehen. :)
LöschenLG Myriam
Das klingt nach einer tollen Ausstellung. Schade, dass Leipzig nicht mal eben um die Ecke ist. Aber die Ausstellung läuft ja noch bis zum 8. August. Da habe ich ja immerhin noch ein bisschen Zeit. :)
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Sarah Maria
Ein Besuch in Leipzig lohnt sich immer. Im März ist bspw. auch noch die Buchmesse. :) LG Myri
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