Donnerstag, 27. Juli 2017

Meine Erinnerungen an das Jahrhunderthochwasser 1997 im Oderbruch

Die aktuellen Videos und Fotos in der Presse erinnern mich sehr stark an 1997. In dem Jahr als ich 10 Jahre alt wurde, war auch das Jahrhunderthochwasser im Oderbruch - jene Region in der ich behütet aufgewachsen bin. Durch starke Regenfälle trat die Oder in Südpolen und Tschechien über die Ufer und schließlich erreichte das Hochwasser Mitte Juli auch Brandenburg. Die Gefahr von Deichbrüchen wuchs von Tag zu Tag und erste Dörfer und Siedlungen wurden evakuiert.

Oder bei Hohenwutzen - hier drohte 1997 der Deich zu brechen



Ich erinnere mich noch genau daran, dass uns abends in den Nachrichten immer höhere Pegelstände genannt wurden. Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, THW und unzählige Freiwillige haben Tag und Nacht versucht die Dämme zu sichern bzw. zu reparieren. Sandsäcke waren vielerorts sehr begehrt. Trotz aller Anstrengungen gab der Damm an zwei Stellen nach und Teile des tiefgelegenen südlichen Oderbruchs wurde überflutet.

Die Situation spitzte sich auch im nördlichen Oderbruch, bei Hohenwutzen, zu. Dort wohnte meine Großmutter nicht weit von der Oder entfernt. Wäre der Damm gebrochen, hätte wahrscheinlich auch ihr Haus unter Wasser gestanden. Sogar die Tiere im Oderbruchzoo, damals noch Schulzoo Altreetz genannt, wurden in Sicherheit gebracht. Am 25. und 30. Juli rutschte der Deich auf einer Länge von 80m bzw. 100m bis in den Kronenbereich ab. Die Chance den Deich zu retten, lag bei 10%. Das war nicht viel, aber es hat gereicht. Bundeswehr Hubschrauber warfen Sandsäcke aus der Luft ab und Taucher sicherten die brüchigen Stellen von der Innenseite. Wäre der Deich gebrochen, hätte auch Schwedt (Oder) unter Wasser gestanden und unser Dorf Bralitz, auf der "Insel Neuenhagen", wäre vollkommen vom Wasser umschlossen gewesen. Die "Insel Neuenhagen" liegt etwas höher als die Gebiete in der Umgebung. Daher hatten wir außer voll Wasser stehende Wiesen und verdorbene Ernten nicht so viel zu befürchten.

Mittlerweile wurden auch die Sommerferien verlängert. In unserer Grundschule waren bspw. die Taucher untergebracht, die den Deich sicherten.
Am 10. August sanken dann endlich die Pegelstände. Wir konnten etwas aufatmen. Es dauerte so lange, weil die Oder ein geringes Gefälle aufweist und es zahlreiche (auch kleinere) Nebenflüsse gibt. Durch mein Dorf Bralitz fließt ein Nebenarm der [Neuen] Oder, die Alte Oder. Dieser Nebenarm führte zwar auch höhere Pegelstände als sonst, trat aber weitesgehend nicht über sein Ufer.

Alte Oder bei Bralitz, Brandenburg


Nützlicherweise konnten zur Entlastung der Dämme Polderflächen im Odertal geflutet werden. Im Oderbruch gibt es nicht nur Dämme am Fluss, sondern auch im Hinterland. Das sind sogenannte "Schlafdeiche". Sie werden teilweise nur von Straßen unterbrochen und können schnell durch Sandsäcke geschlossen werden. Mit Polderflächen werden Landflächen bezeichnet, die durch Deichbau und Entwässerung gewonnen wurden.

Fruchtbares Oderbruch

Der Dichter Fontane verglich die Landschaft im Oderbruch mit dem Spreewald. Viele Sumpf und noch mehr kleine Wasseradern. Diese ursprüngliche Natur ist heute nicht mehr erhalten. Der Alte Fritz (Friedrich II.) ließ im 18. Jahrhundert das Oderbruch trockenlegen, um mehr Siedlungsfläche zu erhalten. Dazu holte er sich Fachleute aus den Niederlanden, die mit der Landgewinnung schon Erfahrung gesammelt hatten. Über 40 Jahre dauerten die Bauarbeiten - es gibt noch Hoffnung für den Berliner Flughafen.
Es wurde ein ca. 20km langes neues Flussbett für die Oder angelegt. Daher auch der Name "Neue Oder". Die Alte Oder, die durch mein Dorf Bralitz fließt, ist nie ausgetrocknet. Dieser Flussarm wurde zur Entwässerung des Bruchs genutzt. 
Auch wenn es Proteste durch die Fischer gab und diese nachts die Deiche wieder zerstörten, siedelten sich viele Menschen auf dem neu gewonnenen Land an. Früher gab es in dieser Region so viele Fische, dass sie getrocknet wurden und als Brennmaterial dienten. Es war einfacher Fische als Holz zu trocknen.
Die Dorfbewohner, mehrheitlich Fischer, "schulten" auf Ackerbau und Viehzucht um und bauten u.a. die zunächst verhasste Kartoffel an. 

Bralitz, Dornbuschsee mit Dorfkirche im Hintergrund

Da die Natur an dieser Stelle stark beschnitten wurde, hatten die Menschen in den Folgejahren viel mit der Oder zu kämpfen. Es gab oft Hochwasser - die Oder wollte sich "ihr" Land wieder zurückholen, welches ihr zuvor von den Menschen gestohlen wurde. Der Landstrich blieb über die Jahrhunderte stets in Gefahr. Zum Beispiel das Frühjahrshochwasser von 1947.

Ich merke gerade, dass ich noch viel über die Trockenlegung, die Historie des Oderbruchs oder über Sehenswürdigkeiten meiner Heimat schreiben könnte. Vielleicht sollte ich hier auf dem Blog öfter über meine Heimat Brandenburg schreiben. Denn sie hat mehr zu bieten als lange Alleestraßen wo hin und wieder mal einer an einen Baum gurkt. ;)

Übrigens dass ich so viel über die Trockenlegung bzw. Peuplierung des Oderbruchs weiß, ist nicht Wikipedia, sondern dem Sachkunde- und Geschichtsunterricht geschuldet. Nach dem Hochwasser haben wir uns in der Schule damit befasst, und außerdem an einem Schülerwettbewerb namens "Die Niederlande unter der Lupe" teilgenommen, der vom niederländischen Staat für die von der Flut betroffenen Schulen ausgerufen wurde. Und was soll ich sagen: Wir haben auch den 1. Preis, eine Reise, gewonnen. In der zweiten Hälfte der 4. Klasse ging es dann für vier Tage nach Holland. Über unsere Klassenfahrt habe ich im Anschluss sogar einen Zeitungsartikel für die Lokalpresse geschrieben - sozusagen mein erster Kontakt mit dem Schreiben. :)

Dorfidylle in Brandenburg

4 Kommentare:

  1. Schöner Artikel. Ich erinnere mich auch noch als wäre es gestern gewesen. Meine Familie blieb lange im Ort aber als der Abschnitt bei Groß Neuendorf zu brechen drohte wurden wir mitten in der Nacht evakuiert. Anschließend durften nur noch meine Eltern tagsüber zurückkehren. Wie durch ein Wunder hielt der Deich.

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    1. Vielen Dank für deinen Kommentar. :) Wenn du noch mehr zu berichten hast, bzw. Fotos hast, kannst auch gern einen Gastbeitrag schreiben. :) Hast ja meine Nummer. :D LG Myriam

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  2. Ich erinnere mich auch noch als wäre es gestern gewesen. Ich war einer von den Bundeswehrsoldaten die auf dem Dammstück standen als er weg rutschte. Später habe ich direkt im Damm gestanden am Kern und habe mit meinen Kammeraden die BigPacks vom Heli in Empfang genommen. Hinter mit Bröckelte immer mehr von der Feichkrone runter und wir standen 2 Meter tiefer im loch. Wäre der Damm weggerutscht, hätten wir uns nicht mehr retten können. So tief im Damm wären wir drin. Imposant war auch , die Helis über einen Schweben zu haben. Man hätte fast diese anfassen können.

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