Aufgalopp. Rennbahn. Leipzig.
Drei Worte, die nach Tradition, Tempo und feinem Stil klingen – und für mich zu einem überraschenden Aha-Erlebnis wurden: Du brauchst niemanden, um irgendwo dabei zu sein. Nur dich.
Wer denkt, man bräuchte Begleitung für einen stilvollen Tag auf der Rennbahn, irrt. Beim Aufgalopp im Scheibenholz habe ich genau das Gegenteil erlebt: Allein gekommen, nicht allein geblieben. Zwischen dampfendem Rasen, Vintage-Hüten, Pferdestärken und Sekt aus Plastikgläsern entsteht eine Atmosphäre, die einlädt – nicht ausgrenzt.
Die Rennbahn ist kein Ort für elitäres Getue, sondern für alle, die Sinn für Stil, Neugier und Geschichte mitbringen. Und für Menschen, die den Mut haben, sich selbst genug zu sein. In diesem Beitrag zeige ich dir, warum die Galopprennbahn im Scheibenholz nicht nur Pferdefans anzieht, sondern auch ein idealer Ort ist, um allein hinzugehen – und trotzdem mitten im Leben zu stehen.
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Aufgalopp im Leipziger Scheibenholz |
Ein britischer Hauch in Leipzig – und mein erster Schritt ins Unbekannte
Der 1. Mai 2023. Ein Feiertag, den ich sonst mit Lernstoff, Sofa oder ganz woanders verbracht habe – aber selten so. Die Leipziger Galopprennbahn im Scheibenholz – kaum zehn Minuten von meiner Wohnung entfernt – war bis dahin ein Ort, den ich kannte, aber nie besucht hatte. Ich hatte keine Ahnung von Pferderennen, keine Wettstrategie, keine Begleitung. Aber: Lust und Mut.
Vielleicht war es die Idee von britischem Chic mit Fascinator und Sektglas, vielleicht der Reiz, mir selbst zu beweisen, dass ich für gute Erlebnisse nicht auf andere angewiesen bin. Also ging ich – allein.
Der Aufgalopp 2023 – Sonne, Stil und Selbstvertrauen
Der Aufgalopp ist traditionell der Saisonstart im Leipziger Galopprennsport. Jedes Jahr am 1. Mai. Die Stimmung war fröhlich, offen, stilvoll, aber nie elitär. Die Outfits reichten von leger bis elegant – von Jeans bis Fascinator war alles vertreten. Ich schlenderte zwischen Tribüne und Führring, beobachtete die Pferde vor dem Start, trank Sekt, sog Eindrücke auf, machte Fotos.
Irgendwann stand ich auf einer kleinen Plattform und hatte freie Sicht auf das Rennen. Ich spürte: Das hier ist kein Notnagel für Alleingänger – es ist ein echtes Erlebnis. Und ich mittendrin, nicht als Zuschauerin zweiter Klasse, sondern als Teil der Szene.
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Entspannt - abseits der Haupttribüne |
Der Partyrenntag 2025 – Regen, Rennbahn, Ruhe
Zwei Jahre später, Juni 2025. Diesmal: der Partyrenntag – ein After-Work-Event mit Abendrennen. Es hatte geregnet, ich war müde vom Tag. Aber ich wollte raus. Mein Outfit lag bereit, das Ticket kaufte ich spontan an der Abendkasse für 16 Euro. Und wieder: Ich ging allein – diesmal bewusst, fast demonstrativ.
Die Stimmung war ruhiger, ehrlicher. Kein großes Tamtam, dafür echte Rennbahnatmosphäre. Weniger Leute, mehr Sicht auf das Wesentliche: Pferde, Jockeys, Rennen. Ich platzierte meine erste Dreierwette – mit Hilfe der freundlichen Wettschule vor Ort – und fieberte mit.
Als einige Pferde nicht starten konnten, weil der Tierarzt sie aus dem Rennen nahm, war klar: Hier zählt nicht nur Geld, sondern auch Verantwortung. Und plötzlich war auch das Wetter egal – der Regen verlieh dem Abend eine fast britische Melancholie. Authentisch, entschleunigt, schön.
Allein ist auch eine Haltung – und manchmal die beste Wahl
Allein auf Events zu gehen ist kein Zeichen von Einsamkeit. Es ist Freiheit. Ich war offen für Begegnungen, sprach mit Kollegen, die ich zufällig vor Ort traf, stand aber nie unter dem Druck, Gespräche führen zu müssen. Ich bestimmte mein Tempo, mein Blickfeld, meine Pausen.
Zwei Dinge habe ich gelernt:
1. Wer allein geht, ist oft leichter ansprechbar – und kommt schneller ins Gespräch.
2. Es ist die perfekte Übung für berufliche Präsenz – man lernt, sich souverän zu bewegen.
Ich habe an diesem Tag mehr innere Ruhe gespürt als oft in Gesellschaft. Viele Menschen sind in Gruppen unterwegs, aber nicht wirklich mit sich verbunden. Gespräche lenken ab, Rollen werden gespielt, es geht um Außenwirkung – und das macht Druck: dazuzugehören, sich anzupassen, gefallen zu wollen.
Allein zu gehen heißt auch: keine Show, keine Ablenkung, mehr Ehrlichkeit. Nur du – und das, was ist. Und manchmal entsteht dabei mehr echte Verbindung als auf jedem Gruppenfoto.
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Galopprennbahn Leipzig - Jockeys nach dem Rennen |
Rückblick: Über 160 Jahre Rennbahntradition in Leipzig
Schon 2023 wurde im Scheibenholz groß gefeiert: 160 Jahre Galopprennsport in Leipzig. Die Rennbahn, gegründet 1863, ist eine der traditionsreichsten in Deutschland. Der Jubiläumsrenntag am 10. September 2023 war ein echtes Highlight: sieben spannende Rennen, ein Fassbieranstich mit Blasmusik, Ponyreiten, Fashion-Contest, Kinderland – ein Fest für alle Generationen.
Eine Rennbahn mit Geschichte – seit 1863
Was heute so leichtfüßig zwischen Vintage-Charme und Familienfest changiert, hat eine lange, bewegte Vergangenheit. Am 7. Mai 1863 gründeten elf Pferdesportfreunde den „Leipziger Rennklub“. Schon wenige Monate später, am 13. September 1863, fand der erste Renntag statt – noch vor den Toren der Stadt auf den Heineschen Postwiesen bei Lindenau. Doch man suchte nach einem zentraleren Standort, und so wurde die Rennbahn 1866 ins heutige Scheibenholz verlegt.
Mit wachsenden Besucherzahlen kam 1906 der Entschluss, die Infrastruktur auszubauen. Eine neue Tribüne mit Restaurant wurde geplant – und pünktlich zum 40-jährigen Jubiläum im Mai 1907 feierlich eingeweiht. Noch heute prägt ihre unverwechselbare Silhouette das Bild der Leipziger Rennbahn – ein beliebtes Fotomotiv, damals wie heute.
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Großes Leipziger Jubiläumsjagdrennen 1987 |
Zerstörung im Krieg und erster Nachkriegsrenntag
Auch die Geschichte der Rennbahn ist von Krieg und Zerstörung nicht unberührt geblieben. 1943 und 1944 trafen Luftangriffe die Anlage schwer, viele Stallungen wurden beschädigt. Dennoch fanden selbst in Kriegszeiten vereinzelt Rennen statt – etwa am 18. November 1944, wenn auch nur zwei von acht geplanten. Und am 12. August 1945 wurde im zerstörten Scheibenholz der erste deutsche Nachkriegsrenntag überhaupt ausgetragen. Wer heute am Gelände entlangschlendert, findet links neben der Tribüne historische Fotos, die diesen Abschnitt der Geschichte eindrucksvoll dokumentieren.
Galopprennsport in der DDR
Ab 1953 wurden alle ostdeutschen Rennbahnen – darunter Leipzig, Hoppegarten, Dresden, Magdeburg, Halle und Gotha – in Volkseigentum überführt. Die neue Struktur firmierte unter dem Namen „VE Rennbetrieb“. Besonders beliebt war der 1. Mai mit dem „Preis der Arbeit“ – ein Renntag mit Symbolkraft in der DDR. Um das Publikum dauerhaft zu binden, entstanden Patenschaftsrenntage, etwa der „Moderenntag“, der vom VEB Vestis getragen wurde und bis heute als Format erhalten geblieben ist.
Doch der Pferdesport hatte es in der DDR nicht leicht. Strenge Vorgaben beim privaten Pferdebesitz trieben viele Züchter, Trainer und Reiter in den Westen. Mit dem Mauerbau 1961 wurde es noch schwieriger, Talente in der Region zu halten. Trotzdem etablierte sich Leipzig in der DDR-Zeit als wichtige Rennbahn mit bis zu 20 Renntagen jährlich.
Umbruch nach der Wende – und neue Hoffnung
Nach der Wende wurde der VE Rennbetrieb aufgelöst. 1990 gründete sich der Leipziger Rennverein neu. 1991 war das Scheibenholz sogar die umsatzstärkste Bahn in den neuen Bundesländern. Doch die Euphorie war nicht von Dauer: 1992 feierte man zwar „125 Jahre Scheibenholz“, doch der Verein und die Stadt konnten sich nicht auf einen Pachtvertrag einigen. Die denkmalgeschützte Tribüne verfiel zusehends.
Erst 1995 wurde mit einem 50-jährigen Erbbaurechtsvertrag (plus Option auf 25 Jahre Verlängerung) die Grundlage für den Fortbestand der Rennbahn geschaffen. Eine Entscheidung, die Leipzig guttat. Mit der gesicherten Rennbahn und wachsendem bürgerlichen Engagement ging es langsam wieder aufwärts.
Krise, Neustart, Sanierung
2004 musste der Rennverein Insolvenz anmelden. Der Trainingsbetrieb lief weiter, Rennen fielen jedoch aus. Doch 2005 wurde ein neuer Verein gegründet – und das 1. Mai-Rennen wurde mit 15.000 Besuchern zum Publikumsmagneten. Drei Jahre später, im März 2008, begann die dringend nötige Sanierung der Tribüne. Mithilfe von Fördermitteln und Krediten wurde die historische Anlage in mehreren Schritten wieder instand gesetzt.
Ein Ort für mehr als Rennen
Am 1. Mai 2012 feierten 20.000 Besucher den neu eröffneten Saisonauftakt. Die neu gegründete Scheibenholz GmbH übernahm den Betrieb. Seitdem ist die Rennbahn wieder fester Bestandteil der Stadt – mit rund vier Renntagen pro Jahr. Dazu kamen neue Formate: Sommerkino (ab 2016), Konzerte, Flohmärkte – das Scheibenholz ist heute Kultur- und Begegnungsort zugleich.
Und eben auch ein Platz, an dem Geschichte lebendig bleibt – vom 19. Jahrhundert bis ins Heute. Genau das fasziniert mich an der Leipziger Rennbahn: ein Ort mit Charakter, Charme und Geschichte, der die Zeiten überdauert hat und trotzdem mit der Zeit gegangen ist. Man spürt das – in der Architektur, der Atmosphäre, im Publikum. Das Scheibenholz hat diese seltene, positive Aura: traditionsreich, offen, lebendig.
Mein Fazit – und ein kleiner Aufruf an dich
Ich werde wieder hingehen – egal ob zum Moderenntag im Herbst oder zum nächsten Jubiläum. Ob mit anderen oder allein. Denn ich weiß jetzt: Allein sein heißt nicht, dass etwas fehlt. Es heißt nur, dass du frei bist, alles zu entdecken.
Wenn du das liest und zögerst: Geh. Nimm dir ein Glas Sekt, stell dich an den Führring, sprich jemanden an („Wetten Sie auch zum ersten Mal?“ reicht völlig). Und wenn nicht – genieß einfach. Du brauchst keine Begleitung, um etwas zu erleben. Du brauchst nur dich.
P.S.: Flanier-Tickets gibt’s je nach Event ab ca. 12 Euro. Zusätzlich gibt es Ermäßigungen für Schüler, Studierende, Rentner. Infos zu kommenden Terminen findest du auf
www.scheibenholz.com.
Sehen wir uns auf der Rennbahn?
Hier findest du Infos zu deinem ersten Rennbahnbesuch.
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